Uwe Lonitz
– Fregattenkapitän a.D., Dipl.- Ing., Dipl. rer. mil.
– Absolvent der Offiziershochschule der Volksmarine und der Militärakademie der NVA.
– Zugführer und Kompaniechef in der RTA-6.
– Stellvertreter für Raketenbewaffnung und Stabschef der Küstenraketenabteilung 18.
– Kommandeur der 1. Küstenraketenabteilung des Küstenraketenregiments 18.
– Oberoffizier für Funkelektronischen Kampf der 4. Flottille.
– Inhaber einer Handelsvertretung
Nach Absolvierung der Offiziershochschule der Volksmarine 1970 wurde ich als Zugführer in der Raketentechnischen Abteilung 6 in Tilzow auf der Insel Rügen eingesetzt. Diese Abteilung unterstand den Rückwärtigen Diensten der 6. Flottille und hatte die Aufgabe, die Raketen „P-15“ für die Raketenschnellboote des Projekts „205“ zu lagern, für den Verschuss vorzubereiten und zuzuführen. Kommandeur war zu dieser Zeit Korvettenkapitän K.-H. Kräusche. Ich eignete mir die notwendigen Kenntnisse für die Erfüllung meiner Aufgaben an, wurde Kompaniechef und 1977 zum Studium an die Militärakademie der NVA versetzt.
Im Juli 1979 war ich während meines Studiums an der Militärakademie im Praktikum in der Raketentechnischen Abteilung 6 in Tilzow auf Rügen, deren Kommandeur jetzt Fregattenkapitän Kurt Stippkugel war. Für mich völlig überraschend teilte er mir nach 14 Tagen mit, dass er Befehl habe, ab sofort eine neue Einheit, ausgerüstet mit modernsten Küstenraketen, aufzubauen.
Die Aufstellung der Küstenraketenabteilung 18 (KRA-18) erfolgte auf der Grundlage der Anordnung 18/79 des Chefs der Volksmarine vom 22.05.1979, die zeitlich in 3 Etappen aufgeteilt war.
Für jede Etappe waren zu erreichende Ziele festgelegt, die im Endeffekt aber alle abhängig waren von der Zuführung der Technik, der Startrampen als Hauptbewaffnung. Da diese allein von der sowjetischen Seite abhing und mit Verspätung erfolgte, konnten die Termine überhaupt nicht eingehalten werden. Personell waren wir immer entsprechend der Anordnung für die jeweilige Etappe aufgefüllt.
Als Hauptbewaffnung waren 4 Selbstfahrende Startrampen (SSR) des sowjetischen neu entwickelten Küstenraketenkomplexes „Rubesh“ vorgesehen. Diese modernste Raketenbewaffnung erhielt die Volksmarine als erste Marine im Ostseeraum.
Mit Wirkung vom 01.09.1979 erfolgte die erste personelle Zuführung für diese neue Einheit, die Unterbringung wurde im Kommando der Volksmarine in Rostock sichergestellt. In Vorbereitung der 1. Zuführung von Matrosen und Unteroffizieren am 01.12.1979 wurde der Standort nach Stralsund auf die Insel Dänholm in die Schiffsstammabteilung 18 verlegt.
An einem Wochenende im Dezember 1979 besuchte ich die neue Einheit. Zu dieser Zeit bestand der Dienst aus dem Studium von technischen Beschreibungen, Innendienst und militärischer Grundausbildung.
Im Jahr 1980 wurde diese Kadereinheit in das Objekt Schwarzenpfost verlegt, in dem bereits in den 60-iger Jahren die Spezialküstenartillerieabteilung 18 der Küstenraketentruppen der Volksmarine mit dem Raketenkomplex „Sopka“ stationiert war.
Als ich mich im September 1980 nach Abschluss meines Studiums zum Dienstantritt als Stellvertreter des Kommandeurs für Raketenbewaffnung in der Küstenraketenabteilung 18 meldete, fand ich den gesamten Personalbestand nach einigem Suchen bei der Exerzierausbildung auf dem Eisenbahnverladeplatz.
Die Wohnunterkünfte der Matrosen und Unteroffiziere, die Ausbildungsräume und die Dienstzimmer der Offiziere befanden sich alle in einer alten Holzbaracke. Stammeinheit im Objekt Schwarzenpfost war zur damaligen Zeit die Raketentechnische Abteilung 4 der 4. Flottille. Wir kamen zwar leidlich miteinander aus, aber es war den „alten Schwarzenpfostern“ schon anzumerken, dass es ihnen nicht gefiel, monatlich eine Räumlichkeit und eine Verantwortlichkeit an uns Neue abzugeben.
Die Anlieferung der Technik erfolgte fast ausschließlich per Bahn über das Verlade- und Anschlussgleis hinter der Dienststelle. Zum Zeitpunkt des Umzugs nach Schwarzenpfost waren bereits 12 Raketen „P-21/22“,
1 „KIPS“ (fahrbare Regelstation) und ein Bodenausrüstungssatz „N4R“ vorhanden. Damit konnte die Ausbildung und vor allem die Beschäftigung für die Technische Batterie und den Transport- und Nachladezug im Herbst 1980 wesentlich verbessert werden. Von Juni 1980 bis März 1981 wurden 4 Transporte mit Raketen „P-21/22“ übernommen.
Für die personell voll aufgestellten zwei Startbatterien sah das nicht so gut aus, es fehlte die Hauptbewaffnung- die Startrampen. Die beiden Batteriechefs Oberleutnant R. Brennecke und K.-D. Glodschei stürzten sich gemeinsam mit Ihren Unterstellten in das Studium der Vorschriften und hatten ständig das Problem, Ihre Leute auch ohne Technik zu begeistern und den militärischen Alltag zu organisieren.
Im September 1980 wurde eine große gemeinsame Übung der Vereinten Ostseeflotten, das Manöver „Waffenbrüderschaft“, vor der Insel Usedom durchgeführt. Ohne genau zu wissen, worum es sich überhaupt handelte, fuhren Fregattenkapitän K. Stippkugel, sein Stabschef Korvettenkapitän J. Bitzer und ich laut Befehl auf die Insel. Vorher erhielten wir einen extra für diese Übung ausgestellten Ausweis und einen vom Chef des Stabes der Volksmarine unterschriebenen Dienstauftrag. Nach längerem Suchen wurden wir von zwei sowjetischen Offizieren hinter zwei große Sanddünen zu großen Tarnnetzen geführt. Jetzt sahen wir zum ersten Mal unsere zukünftige Hauptbewaffnung, eine Selbstfahrende Startrampe (SSR) und waren sofort begeistert. Die sowjetischen Offiziere erklärten uns kurz die einzelnen Komponenten dieses „Raketenschnellbootes auf Rädern“, taten aber ansonsten sehr geheimnisvoll.
Ende Oktober 1980 war es endlich soweit, die ersten beiden Selbstfahrenden Startrampen des Küstenraketenkomplexes „Rubesh“ mit den Baunummern „502“ und „602“ trafen als Bahntransport auf dem Anschlussgleis unseres Objektes Schwarzenpfost ein. Die beiden Startrampen waren in jeweils 3Komponenten zerlegt: Basisfahrzeug, Gefechtskabine und Startcontainer. Wir entluden die Waggons und stellten die Technik in der Technischen Zone ab.
Im November 1980 traf die Gruppe der sowjetischen Spezialisten ein, Ingenieure des Herstellerwerkes und Angehörige der Raketentruppen, die sich uns allerdings nur namentlich vorstellten, aber wer das Sagen hatte, merkten wir trotzdem sofort Die Spezialisten begannen unverzüglich mit der Montage der beiden Startrampen und mit Beginn der Übergabe auch mit der Ausbildung des Personals. Ich hatte unserem Raketenspezialisten, Oberleutnant F. Hösel, befohlen, den sowjetischen Spezialisten während ihrer Arbeit über die Schulter zu sehen und sich somit wertvolle Erfahrungen anzueignen. Das zahlte sich in der weiteren Entwicklung unserer Einheit und später des Regiments aus, er wurde unser bester Spezialist für die Raketentechnik und war immer gefragt, wenn es ernsthafte Probleme gab.
In der Küstenraketenabteilung 18 wurde inzwischen wurde das Personal weiter aufgestockt und wir konnten die zweite Baracke beziehen. Gleichzeitig begannen die Bauarbeiten zur Schaffung neuer Unterkünfte und Hallen für Personal und Technik. Unser Hauptproblem war dabei die Unterbringung der beiden Startrampen. Sie mussten ständig getarnt werden, passten aber in keine der vorhandenen Kfz- Hallen. Vom Kommando Volksmarine erhielten wir ein großes Zelt, aber die Höhe reichte nicht aus, wir brauchten für unsere Startrampen mindestens 4,50 Meter. Die Offiziere der
Startbatterien ließen sich etwas einfallen, sie entwickelten ein Aufstocksystem aus Metallrohren. Damit war die Höhe ausreichend und dieser Eigenbau diente dann zwei Jahre als Unterkunft für unsere Startrampen.
Im Dezember 1980 fuhr ich nach Graal- Müritz in die dortige PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) und wir konstruierten und bauten dort gemeinsam ohne „Geheimnisverrat“ eine transportable Verteilertafel für die mobile Außenstromversorgung der Startrampen. Das war ein bedeutender Fortschritt, die Ausbildung wurde wesentlich erleichtert, Betriebsstunden für die Turbine gespart und es war sogar eine Steckdose für den Tauchsieder vorhanden.
Am 15.12.1980 erfolgte die offizielle feierliche Indienststellung der Küstenraketenabteilung 18 mit einer Musterung.
Vom 23. Februar bis 21. April 1981 wurde ein Intensivausbildungslehrgang durch die sowjetischen Spezialisten mit unserem Personal durchgeführt. Dabei wurde in der gesamten Zeit nur Russisch gesprochen und selbst schwierige Fachbegriffe mussten wir teilweise mühsam mit Spezialwörterbüchern übersetzen. Umso erstaunter war ich, als ich am 21. April 1981 die sowjetischen Spezialisten nach Berlin Ostbahnhof zum Zug nach Moskau brachte und mich ungefähr 10 Minuten vor der Abfahrt der Leiter der Gruppe in beinahe akzentfreiem Deutsch ansprach. Er sagte, dass er mit meiner Unterstützung sehr zufrieden gewesen sei und ich solle mich nicht über einige Ansichten meines damaligen Kommandeurs ärgern, die neue Zeit würde uns Jungen noch Recht geben. Bis dahin hatte er kein Wort Deutsch gesprochen und angeblich auch keins verstanden.
Bis zum Sommer 1982 verging die Zeit wie im Fluge. Die Ausbildung musste organisiert und sichergestellt, die Bauarbeiten beaufsichtigt werden. In dieser Zeit hatten wir häufig Besuch von hohen Vorgesetzten, welche sich diese moderne Technik vorführen und erklären ließen. So besuchte am 12. März 1982 der Minister für Nationale Verteidigung Armeegeneral H.Hoffmann in Begleitung seiner Stellvertreter und des Chefs der Volksmarine die Küstenraketenabteilung 18 und nur 2 Monate später durfte Oberleutnant Glodschei dem halben Politbüro der SED seine Startrampe präsentieren.
In der Ausbildung gab es folgende Schwerpunkte:
- Abnahme der Batteriegefechtsübung (BGÜ) für die 1. Startbatterie mit dem Thema „Übernahme/Übergabe von Raketen und Vorbereitung der Startrampen zum Marsch in eine Startstellung und die Handlungen im Gefecht“ am 06.04.1981.
- Abnahme der gleichen Batteriegefechtsübung für die die 2.Startbattrie am 07.04.1981.
- Abnahme der 1. Batteriegefechtsübung für die Technische Batterie mit dem Thema „Teilweise Überführung von Lehrraketen aus der BS- III in die BS-I“.
- Die 1. Abteilungsgefechtsübung (AGÜ) als Abnahmeübung mit der Kontrolle durch die sowjetischen Spezialisten am 13.04.1981.
- Teilnahme am Manöver“ Herbstwind 81“ mit Verlegung der Abteilung im vollen Bestand in den Raum Willershagen. Die Manöverkritik war niederschmetternd, aber wir und auch unsere Vorgesetzten wussten jetzt, was noch fehlte und worauf die Ausbildung konzentriert werden musste.
- Am 30.09.1981 wurde die KRA 18 in das System der Gefechtsbereitschaft eingegliedert.
- Zum Abschluss des AJ 1980/81 wurde vom 10.-13.11.1981 eine AGÜ unter mobilen Bedingungen zum Thema „Der Einsatz der Startbatterien der Abteilung zur selbständigen Bekämpfung gegnerischer Überwasserstreitkräfte“ mit folgenden Elementen durchgeführt:
+ Beladen der SSR.
+ Verlegen der Kolonne.
+ Funkmessübung auf reale Ziele (Stellung Neuhaus).
+ Beziehen eines Raumes und Org.SSV (Raum Willershagen).
+ Regeln von Raketen.
+ Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft.
- Am 03.06 1982 eine faktische Betankungsübung der Technischen Batterie mit Kolonnenmarsch zur RTA 6 nach Tilzow.
- Die Taktische Übung zur Zulassung zum 1. Raketenschießabschnitt vom 08.-10.06.1982.
Im Frühsommer 1982 fuhr ich in die 1. Flottille nach Peenemünde. Aufgabe war die Auswahl eines Landungsschiffes für die Überführung einer SSR nach Donskoje bei Baltisk zur Vorbereitung des ersten scharfen Raketenschießens der KRA 18. Mit Bandmaß und Zollstock wurde mehrmals gemessen, trotzdem fehlten einige Zentimeter Höhe in der Auffahrtluke des Landungsschiffes Projekt 108. Damit waren wir bei der Verlegung auf die Hilfe der Baltischen Rotbannerflotte angewiesen. Viele notwendige und praktische Hilfsmittel wurden selbst entwickelt und hergestellt. Für die Vorbereitung und Durchführung des Feldlagers wurde z.B. ein Donnerbalken für 8 Mann gebaut, der danach noch mehrere Jahre im Einsatz war.
Beim Seezielschießen am 05.07.1982 wurden erstmals in der Geschichte der Volksmarine von der SSR 502 eine Rakete „P-21“ mit aktiver Funkmesszielsuchlenkung und eine Rakete „P-22“ mit passiver Infrarotzielsuchlenkung verschossen. Die sowjetischen Kontrolloffiziere versicherten uns nach einer Stunde Wartezeit, dass auch die „P-22“ ihr Ziel getroffen habe, was wir Ihnen dankbar glaubten.
Nach dem erfolgreichen Raketenschießabschnitt wurde die KRA-18 in den Gefechtsdienst der Volksmarine übernommen. Eine SSR mit kompletter Besatzung und ein Raketentransporter wurden jeweils für eine Woche vergattert. Wenn man sich jetzt überlegt, dass die „Anderen“ alle zu Hause in Urlaub waren und unsere Besatzungen
über Weihnachten und Silvester Gefechtsdienst ohne betankte Raketen schoben, muss man heute noch den Hut ziehen vor der hohen Disziplin unseres gesamten Personalbestandes.
Im Frühjahr 1983 konnten wir zwei große Kfz-Hallen von der RTA 4 übernehmen, um endlich die SSR aus dem Zelt in eine feste Halle zu stellen. Aber auch da fehlten 20 cm an der Höhe. Mit hohem körperlichem Einsatze wurde vor allem vom Personal der beiden Startbatterien der Beton aufgestemmt und so die Einfahrt in die Garagen ermöglicht. Im Verlauf des Jahres übernahmen wir die gesamte Dienststelle und auch die Bauarbeiten für den Raketenbetankungsplatz und die Technikgaragen gingen zu Ende. Beim Betankungsplatz stellten wir kurz vor der Fertigstellung fest, dass die Baufirma die ganze Anlage seitenverkehrt gebaut hatte. Wir mussten also mit den Raketen immer erst eine zusätzliche Schleife fahren, um die richtige Tankreihenfolge einzuhalten.
Im Oktober trafen die beiden letzten für die Küstenraketenabteilung 18 bestimmten Selbstfahrenden Startrampen mit den späteren Taktischen Nummern 121 und 121 diesmal auf dem Seeweg ein und wurden im Überseehafen Rostock. Auch sie waren wiederum in jeweils 3 Teile zerlegt: das Basisfahrzeug, die Gefechtskabine und der Startcontainer. Nachdem alle Teile vom Schiff entladen waren und wir sie übernommen hatten, organisierten wir den Transport in unser Objekt. Die beiden Basisfahrzeuge „MAZ 543“ fuhren unsere dafür ausgebildeten Kraftfahrer und die anderen Teile wurden mit dem Tieflader transportiert. Diese insgesamt komplizierte Aktion verlief erfolgreich. Bis zum Eintreffen der Gruppe der sowjetischen Spezialisten die für die Montage und Übergabe verantwortlich war, wurden alle Teile in der Technischen Zone unseres Objekts abgestellt.
Am 01.11.1983 wurde das Küstenraketenregiment 18 aufgestellt und aus der Küstenraketenabteilung 18 wurde die 1. Küstenraketenabteilung unter meiner Führung. Wenig später übernahmen wir die beiden Rampen und damit erreichte unsere Abteilung erstmals den vollen Kampfbestand. Nach Abnahme der entsprechenden Aufgabe war die 1. Küstenraketenabteilung dann im Dezember 1983 „Gefechtsbereit“. Im darauffolgenden Jahr erfüllten wir bereits die Hauptaufgaben Demonstration vor dem Minister für Nationale Verteidigung, 1. Raketenschießabschnitt und Teilnahme an der Parade der Nationalen Volksarmee in Berlin.
Die Grundlagen dafür hatten wir mit unserer insgesamt erfolgreichen Arbeit vor allem bei der Formierung der Kollektive, der Ausbildung unter den erschwerten Bedingungen fehlender Technik und Unterkünfte in der Küstenraketenabteilung 18 gelegt. Bis zum Übergang in die 1. Küstenraketeabteilung hatten wir eine gut ausgebildete Einheit aufgebaut, die in der Lage war, die übernommene Technik vorschriftsmäßig zu warten, zu bedienen und wenn nötig auch einzusetzen.
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