Parade und Auswertung des 1. Ausbildungsjahres 1983/84
Ein Bericht von Kapitän zur See a.D. Lothar Schmidt
Mit Riesenschritten näherten wir uns einem bedeutenden Feiertag in der Geschichte der DDR, dem 35. Jahrestag ihrer Gründung. Zu Ehren dieses Feiertages war die größte und machtvollste Ehrenparade der Nationalen Volksarmee (NVA) in der Geschichte der DDR in der Hauptstadt Berlin geplant und wir sollten daran teilnehmen.
Die Küstenraketentruppen der Volksmarine nahmen insgesamt zweimal mit einer motorisierten Formation des Küstenraketenregiments 18 an Paraden der NVA anlässlich eines Jahrestages der DDR teil. Das war am 07.10.1984, dem 35.Jahrestag und an der letzten Parade in der Geschichte der DDR am 07.10.1989, dem 40. Jahrestag. Beide Paraden fanden zu entscheidenden Zeitpunkten der Geschichte des Küstenraketenregiments 18 statt: Die erste ein Jahr nach der Indienststellung und die zweite ein Jahr vor der Auflösung!
Die Spezial-Küstenartillerieabteilung hatte 1970 anlässlich des Manövers „Waffenbrüderschaft 70“ an einer Feldparade teilgenommen. Bei allen Paraden demonstrierten die Angehörigen der Küstenraketentruppen der Volksmarine trotz veränderter Verhältnisse ihre hohe Motivation und militärische Meisterschaft.
Die Paraden der NVA galten als die höchste Form der militärischen Ehrenbezeigung zu besonderen Anlässen wie dem 1. Mai – Tag der Werktätigen, dem 8. Mai – Tag der Befreiung, dem 7. Oktober – Jahrestag der DDR, sowie zum Abschluss von Manövern. Die Paraden waren mit einer erheblichen zusätzlichen Belastung der teilnehmenden Truppen und Technik sowie bedeutenden finanziellen Kosten, 5 bis 10 Mio. Mark der DDR, verbunden. Vor allem aus solchen Gründen wie Effektivität, Kosten, Technikverschleiß, Zeitaufwand beschränkte man sich auf ihre Durchführung zu runden Daten. Sie wurden aber auch in der Zeit des Kalten Krieges als Demonstration der Stärke des Staates, also zur Abschreckung des „Gegners“ genutzt. Berühmt waren sie für ihre exakte Organisation, Ablauf und Vorbeimarsch, was nur durch hohe Motivation und hartes Training des Personalbestands sowie ausgezeichnete Vorbereitung der Technik erreicht werden konnte.
Für alle Truppenteile und Einheiten der Nationalen Volksarmee war eine Teilnahme an diesen Paraden trotz hoher zusätzlicher Belastungen eine besondere Ehre und ein bleibendes Erlebnis!
Da ich an einer Offiziershochschule und Militärakademie in der UdSSR studiert hatte, nahm ich das erste Mal an einer Parade in Berlin teil. Allerdings hatte ich mit der 5.Raketenschnellbootsabteilung am 07.10.1974 an der Flottenparade der Volksmarine in Rostock teilgenommen. Im Gegensatz dazu war mein Vater, Kapitän zur See Musikdirektor Ludwig Schmidt von 1956 bis 1972 als Leiter des Stabsmusikkorps der Volksmarine bei allen Paraden aktiv dabei.
Die Parade am 07.10.1989 verlief nach gleichem Vorbereitungs- und Ablaufplan wie 1984. Die politischen Verhältnisse hatten sich aber bereits stark verändert und dadurch waren zusätzliche Sicherungsmaßnahmen befohlen. Die Formation des Küstenraketenregiments 18 wurde vom Regimentskommandeur, Kapitän zur See Dr. J. Dix, geführt. Teilnehmer war die 1. Küstenraketenabteilung unter ihrem Kommandeur, Fregattenkapitän W. Domigalle, dieses Mal mit vier Startrampen und vier Raketentransportern. Auch hier demonstrierte der Personalbestand des Regiments eindrucksvoll hohes militärisches Können.
Ich Berichte über die Parade am 07.10.1984, bei der ich persönlich die Formation des Küstenraketenregiments 18 führte.
Diese Parade war die größte und machtvollste in der Geschichte der NVA und der DDR mit zwei Besonderheiten: Hubschrauberformationen flogen über der Paradeformation und erstmals nahm eine Formation der Volksmarine an der Motorisierten Parade teil! Ansonsten war die Volksmarine immer nur mit zwei Marschblöcken der Offiziershochschule und Schiffsstammabteilung sowie das Stabsmusikkorps vertreten worden.
Der Befehl des Chefs der Volksmarine zur Teilnahme einer Formation unseres Regiments an der Parade erfolgte Ende Mai 1984. Nach dem Plan des für die Parade verantwortlichen Kommandos des Militärbezirks V war bereits bis zum 15.05.1984 die detaillierte Planung in den teilnehmenden Verbänden, Truppenteilen und Lehreinrichtungen abzuschließen. Das bedeutete für uns – Termin vorgestern! Wir holten das also nach und erarbeiteten in Stoßarbeit die erforderlichen Dokumente, den „Plan zur Vorbereitung auf die Parade“ und die „Pläne der Verlegungen der Einheiten des Küstenraketenregiments 18“.
Zunächst musste ich die Formation für die Parade festlegen. Innerhalb der 22 Marschblöcke der Motorisierten Truppen war unser der Drittletzte. Gefahren wurde in zwei Kolonnen, das heißt, es konnte außer den Führungsfahrzeugen nur immer eine gerade Anzahl von typengleichen Fahrzeugen teilnehmen. Da gleichzeitig die Forderung bestand, dass für jeden Fahrzeugtyp ein Ersatz bereitstehen musste und wir erst vier Startrampen im Bestand des Regiments hatten, war nur folgende Formation möglich, die durch mich vorgeschlagen und den CVM bestätigt wurde:
– Führungsfahrzeug des Regimentskommandeurs mit Truppenfahne Kübel „UAZ-469“ offen, Fahrer, hinten der Fahnenträger und zwei Begleiter.
– Führungsfahrzeug des Kommandeurs der 1. Küstenraketenabteilung Kübel „UAZ-469“ offen, Fahrer, hinten zwei Begleiter.
– 2 Selbstfahrende Startrampen mit Kommandeur und Fahrer.
– 4 Raketentransporteinrichtungen „KRAZ-255 B“ mit je zwei Raketen „P-21/22“ ohne Plane, mit Fahrer und Begleiter.
Dazu kamen zwei Ersatzfahrzeuge, eine Startrampe und ein Raketentransporter, und drei Kraftfahrzeuge der Technischen Stelle meines Stellvertreters für Technik/Ausrüstung jeweils mit Personal. Das ergab insgesamt 13 Fahrzeuge und eine Truppe von ungefähr 30 Mann.
Ein zusätzliches Problem ergab sich daraus, dass unserem Regiment noch keine Truppenfahne verliehen worden war. Ich glaube auch, dass der Auftrag zu ihrer Anfertigung noch nicht erteilt war. Das erfolgte nun mit höchster Dringlichkeit. Als Termin der Verleihung der Truppenfahne an das Küstenraketenregiment 18 kam nur ein Staatsfeiertag in Frage, und der nächste war schon der 35. Jahrestag der DDR. Damit musste dieser Termin, ein weiterer Höhepunkt in der Geschichte unseres Regiments, in den Plan der Vorbereitung der Parade eingeordnet werden, ohne deren Ablauf zu stören.
Zur Erfüllung der Aufgabe wurde durch mich die 1. Küstenraketenabteilung, Kommandeur Korvettenkapitän U. Lonitz, befohlen. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt für mich keine Auswahl siehe oben. Daraus ergaben sich ernsthafte Konsequenzen für die Gewährleistung der Gefechtsbereitschaft des Regiments, für den Gefechtsdienst. Stand doch für die Dauer der Parade nur eine Startrampe zur Verfügung, es konnte also nicht gewechselt werden. Außerdem hatten die im Raum Berlin befindlichen Kräfte unseres Regiments jederzeit bereit zu sein zur kurzfristigen Rückverlegung. Das traf übrigens für alle teilnehmenden Truppen zu.
Für die gleichzeitige Vorbereitung des 1. Raketenschießabschnitts und der Parade waren mir gegenüber, meine Stellvertreter mit den ihnen unterstellten Bereichen verantwortlich. Wichtig war dabei mein Stellvertreter und Leiter der Politabteilung, Korvettenkapitän H.- J. Helm, für die Motivierung des Personalbestandes und der Stabschef, Kapitänleutnant W. Schädlich, für die gesamte Planung. Eine Schlüsselrolle spielte mein Stellvertreter für Technik/Ausrüstung, Kapitänleutnant H.- J. Galda. Zu absolvieren waren zwei Verlegungen über 250 km von Schwarzenpfost nach Berlin und zurück, zwei Verlegungen in Berlin, alle nachts, das Paradetraining und die Parade selbst! Dazu kam noch das notwendige Pendeln zwischen Berlin und Schwarzenpfost. Unvorstellbar, wenn bei den Trainings, und noch schlimmer bei der Parade, ein Fahrzeug liegen bleiben würde, vielleicht noch vor der Tribüne mit Partei- und Staatsführung, Ehrengästen und der gesamten Armeeführung! Was wäre das für eine Blamage! Alle angeführten Aufgaben standen natürlich in bereits aufgeschlüsselter Form vor dem Kommandeur der 1. Küstenraketenabteilung mit seinem Führungsorgan.
Während der Vorbereitung sprach mich eines Tages Korvettenkapitän U. Lonitz an: „Genosse Fregattenkapitän, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“ Er führte mich zu den Garagen, vor denen die Startrampen zur Wartung standen und ich traute meinen Augen kaum, an einer prangte an beiden Seiten der Kabine ein großer, stilisierter, gelber Anker. Ich war begeistert und dankte ihm für die Initiative. Gleichzeitig überlegte ich krampfhaft, wie ich das wohl meinem Vorgesetzten so beibringen könnte, dass er das auch genehmigen würde, denn noch stand das in keiner Vorschrift. Ich beließ es trotzdem dabei und beschloss, um den Anker zu kämpfen.
Bereits in der folgenden Woche hatte ich die Gelegenheit dazu. Mein Vorgesetzter, der Chef der Volksmarine, Admiral W. Ehm, erschien im Regiment. Er wollte sich persönlich vom Stand der Vorbereitung auf die Parade überzeugen. Nach einem kurzen Bericht begleitete ich ihn zur Besichtigung der Technik und führte ihn ohne Vorwarnung zu der besagten Startrampe. Selbstverständlich bemerkte er sofort die „Maling“ und es entspann sich ein recht einseitiger Dialog zwischen Vorgesetztem und Unterstelltem, zu meinem Glück unter vier Augen: „Was ist denn das? Wer hat das befohlen? Das kommt sofort ab!“ „Genosse Admiral, ich habe das befohlen, wollte es ihnen aber erst vorführen und dann um ihre Genehmigung bitten.“ „Das ist mir egal, das muss ab!“ „Genosse Admiral, wir repräsentieren doch unsere Marine und da dachte ich….“ „Das kommt ab!“ „Genosse Admiral, ich bitte sie…“ und endlich meinte er: „Na gut, aber ich habe das nicht gesehen!“ „Jawohl, Genosse Admiral!“ Ich machte vor Freude fast einen Luftsprung. Die hier demonstrierte Haltung unseres Chefs hatte seine Ursachen. Sonderrollen durch eine Teilstreitkraft wurden in der NVA nicht geduldet und er setzte das in der Volksmarine streng durch. Allerdings wusste ich genau, dass er stolz bei der Parade auf seine „Blauen Jungs“ mit der modernsten Technik, sofort zu erkennen an dem Anker, schauen würde!
Nach der Parade, als sich von der Armeeführung niemand negativ zu unserem Anker geäußert hatte, nahmen wir ihn, später noch vergrößert, mit auf in die Anordnung über die Kennzeichnung unserer Startrampen mit taktischen Nummern. Die mussten übrigens zu den Paraden von allen Fahrzeugen entfernt werden. Sofort nach der Rückkehr vom erfolgreichen 1. Raketenschießabschnitt begannen wir mit der Vorbereitung auf die Parade und die Verleihung der Truppenfahne. Laut Plan war vom 01. bis 10.09.1984 Paradetraining in den Standorten durchzuführen und die Militärtechnik vorzubereiten. Am 18.09.1984 verlegte die Paradeformation des Küstenraketenregiments 18 unter meiner Führung mit meinen beiden Stellvertretern Korvettenkapitän H.- J. Helm und Kapitänleutnant H.- J. Galda, den ich für diese Aufgabe als meinen ersten Stellvertreter eingesetzt hatte, über die Autobahnen A 19 und A 24 nachts laut „Plan der Verlegung“ nach Berlin. Außerdem nahm auch der für unser Regiment verantwortliche Offizier der Militärabwehr an dieser wichtigen Aufgabe teil. Im Objekt Schwarzenpfost führte mein Stabschef, Kapitänleutnant W. Schädlich, das Kommando über die Truppen mit dem Schwerpunkt Gefechtsdienst. Unser Ziel, das Feldlager der Truppen der Motorisierten Parade für insgesamt über 1000 Mann und 200 Kraftfahrzeuge bei dem Ort Paaren direkt an der Autobahn Berliner Ring Abschnitt 149, erreichten wir im Morgengrauen.
Beeindruckend waren für mich die gewaltigen Dimensionen dieses Feldlagers, die langen exakten Reihen der Zelte, die schnurgeraden Wege. Ja, und auch die Latrine, eine lange senkrechte und waagerechte Bretterwand, die waagerechte in Sitzhöhe mit Löchern im Abstand von 1m, insgesamt ca. 100! Von oben war das Ganze mit einer Persenning gegen Regen gesichert. Was für ein Bild, wenn abends nach dem Training fast alle Plätze besetzt waren, vom Soldaten bis zum Oberstleutnant, aber dabei bestand keine Grußpflicht! Ich kannte von Bord unserer Schnellboote die berühmt- berüchtigten „Molotows“, WC mit Handpumpe, und bei deren Ausfall das „Not- WC“ am achteren, auf dem Schiff hinten, Flaggmast. Aber das hier übertraf alles! Als ich später darüber noch einmal mit Oberst Alfred Bujak sprach, sagte er mir, dass das größte Problem nicht der Aufbau des Feldlagers gewesen sei, sondern immer nach dem Abbau die Beseitigung der „Reste“.
Die Fahrzeuge wurden in der Technischen Zone abgestellt und sofort gewartet. Ich wurde durch den Stabschef des Paradestabes, Oberst Alfred Bujak, eingewiesen und wir konnten unsere Unterkünfte, drei Mannschaftszelte, in Beschlag nehmen. Nach kurzer Ruhe war für mich die nächste Einweisung, an der die Kommandeure aller Truppenteile und Einheiten teilnahmen. Dabei ging es um den Tagesdienstablauf, Sicherheit, Zeiten, Stellplätze, Formation, Tribüne, Abmarsch aus der Technischen Zone usw. Für mich alles Neuland, deshalb war ich hochkonzentriert. Meine Kameraden, die anderen Kommandeure, nahmen nicht zum ersten Mal an einer Parade teil und waren dementsprechend locker. Anschließend wies ich meine mir unterstellten Kommandeure detailliert in ihre Aufgaben ein. Das waren Korvettenkapitän U. Lonitz für die Küstenraketenabteilung und Kapitänleutnant Peter Schwarz für die Raketentransporteinrichtungen. Selbstverständlich nahmen auch meine Stellvertreter sowie der Offizier der Militärabwehr teil. Danach wiesen sie ihren Personalbestand ein.
Bereits am nächsten Tag begann das Training. Vom 20. bis 24.09. lief täglich alles in der gleichen Reihenfolge ab, Wecken, Frühstück, Klarmachen der Technik, Marsch aller Truppenteile und Einheiten aus der Technischen Zone des Feldlagers zur Ausgangsposition Autobahn, auf Signal Vorbeimarsch, zurück in die Ausgangsposition, alles von vorn. Der Vorbeimarsch erfolgte in Fahrtrichtung Nord in zwei Kolonnen auf der rechten und linken Fahrbahn, die Führungsfahrzeuge auf der rechten. Mein Führungsfahrzeug war der offene Kübel „UAZ-469“ ohne Beifahrersitz. In der Mitte war eine Halterung für die Truppenfahne installiert, da wir noch keine hatten war es eine normale DDR-Fahne,
und ein Rohr mit Griff. An dem konnte ich mich mit der linken Hand bei herunterhängendem Arm festhalten. Der Fahrer war Obermaat Gerd Krüger, immer ruhig und zuverlässig. Hinten saß das Fahnenkommando mit unserem Fahnenträger Fähnrich Detlef Lehmann in der Mitte und den beiden Begleitern Oberleutnant Ralf Jähnig und Leutnant Stephan Georgi.
Entgegen der Dienstvorschrift war Paradeuniform Sommer befohlen. Das bedeutete für uns: Weißer Mützenbezug, für die Unteroffiziere und Matrosen weiße Ex-bluse, natürlich kein Mantel bzw. Kulani. Da es bereits Herbst war mit kühler Witterung, mussten wir uns in dem offenen Fahrzeug warm anziehen. Das bedeutete lange Unterwäsche und Pullover unter dem weißen Hemd. Die Tribüne mit dem Paradestab unter Führung des Chefs der Landstreitkräfte, Generaloberst Horst Stechbarth, dazu die Stellvertreter und Leiter der Politabteilungen bzw. Politstellvertreter der Kommandeure, stand rechts an der rechten Fahrbahn. Im Abstand von je 100 m standen die vier Linienposten. Beim Passieren der Linienposten war wie folgt zu handeln:
- Linienposten: Achtung! Aufrechte straffe Haltung, Blick geradeaus. Für die Fahrer Hände auf dem Lenkrad 10 nach 8, linke Hand auf der 8 und rechte auf der 2, entsprechend dem Zifferblatt der Uhr.
- Linienposten: Blickwendung zum Abnehmenden der Parade, Generaloberst H. Stechbarth und dem Vorsitzenden des Staatsrates. Grußerweisung durch die in ihren Führungsfahrzeugen stehenden Kommandeure.
- Linienposten: Blickwendung und Grußerweisung beenden.
- Linienposten: Rührt Euch! Lockere Haltung, entspannen.
Eine hohe Verantwortung trugen die Fahrer der Kraftfahrzeuge. Sie mussten achten auf: Eine konstante Geschwindigkeit bei 18 km/h, keine großen Lenkmanöver machen– nur leichte Korrekturen, den Platz genau einhalten in der Kolonne zum vorderen Fahrzeug und in einer Linie mit dem Nachbarn und auf keinen Fall den Motor abwürgen! Nach dem Vorbeimarsch wurde gewendet, es ging zurück in die Ausgangsstellung und dann alles von vorn. Die Fahrmanöver beim Wenden und der Wiedereinnahme der Ausgangsposition waren kompliziert. Die Motorisierte Parade bestand aus 22 Formationen mit insgesamt mehr als 200 Kraftfahrzeugen! Wir waren die drittletzte Formation, hinter uns folgten nur noch die Taktischen Raketen und dann die vier Startrampen „9-P-117 M“ mit den Operativ- taktischen Raketen „8-K-14“ (NATO: SCUD B) der 5.Raketenbrigade. Täglich absolvierten wir je drei Vorbeimärsche vormittags und nachmittags. Das Mittagessen, das aus der zentralen Feldküche stammte, wurde feldmäßig an den Fahrzeugen in der Ausgangsstellung eingenommen. Mittags erfolgten eine kurze und abends eine ausführliche Auswertung mit den Kommandeuren, danach mit dem Personalbestand.
Dabei wurde auch der Tagessieger und, zum Abschluss des Trainings, der Gesamtsieger im Wettbewerb zwischen den Formationen nach einer Punktewertung aller Offiziere und Generale der Tribüne festgelegt. Dieser Wettbewerb gehörte einfach dazu, wie der „Sozialistische Wettbewerb“ in der Armee. Obwohl wir unsere Aufgabe ausgezeichnet meisterten, hatten wir leider nur geringe Chancen auf den Sieg. Wir waren Neulinge und dann auch noch von der Marine!
Auf Grund unserer Uniformen und nicht zuletzt durch unsere frisch aufgemalten Anker an den Startrampen waren wir doch auffällig geworden. So berichtete mir Korvettenkapitän H.-J. Helm, dass bereits beim ersten Vorbeimarsch Generaloberst H. Stechbarth erstaunt von der Tribüne auf die Formation des Küstenraketenregiments 18 blickte und dann laut äußerte: „Was denn, sind die jetzt auch schon hier?!“ Für mich bedeutete das ein höchstes Lob, wir waren als Marine identifiziert und anerkannt worden! Abends wurde die Technik gewartet, erfolgte die Auswertung und wurde sich persönlich auf den nächsten Tag vorbereitet.
Insgesamt war dieses Training eine außerordentlich hohe psychische und physische Belastung für den gesamten Personalbestand!
Am 25.09. verlegten wir laut Plan nachts in das Objekt Lehnitz des Artillerieregiments 1. Hier stand die endgültige
Vorbereitung der Militärtechnik im Mittelpunkt, nicht nur die Mechanik, sondern auch das Äußere, Anstrich und immer wieder putzen. In dieser Zeit ging es etwas aufgelockerter zu und ich lernte die anderen Kommandeure persönlich näher kennen. Darunter war auch der Kommandeur des Motorisierten Schützenregiments 1, Oberstleutnant von der Aa, der die Mot.- Parade anführte. Er hatte mir schon vorher manchen wertvollen Rat gegeben. Ich kannte die Struktur der NVA und wusste, dass er als Regimentskommandeur fast 2000 Mann kommandierte, davon der weitaus größte Teil Wehrpflichtige. Mir unterstanden dagegen ungefähr 500 Mann, davon nicht einmal die Hälfte Wehrpflichtige und noch dazu ausgesuchtes Personal auf Grund der Raketenbewaffnung. Dass dabei Unterschiede in den Methoden der Führung bestehen mussten, ist doch selbstverständlich. Außerdem hatte ich nicht vergessen, wie der Bergetrupp des Mot.-Schützenregiments 28 im Dezember 1983 in kameradschaftlicher Hilfe unsere havarierte Startrampe geborgen hatte. Deshalb wäre mir nie eingefallen für meine Kameraden eine „Lehrstunde zwischenmenschlicher Beziehungen“ zu veranstalten, wie bei der Parade 1989.
Selbstverständlich wurden die bei solchen Maßnahmen üblichen Sprüche geklopft, von unserer Seite: „Die Luft und die See grüßt den Rest der Armee!“ und als Antwort an unsere Adresse: „Da kommt die Trachtengruppe von der Küste!“ Aber wir konnten gemeinsam darüber lachen.
Eines Nachmittags meinte Oberstleutnant von der Aa zu mir: „Na, Lothar, dann wollen wir mal einen trinken.“ Er holte aus seinem Spind eine Flasche griechischen Weinbrand „Helios“, zwei Gläser, goss ein und wir tranken auf unsere erfolgreiche, gemeinsame Aufgabenerfüllung. Natürlich galt gerade bei der Parade das wie immer strenge Alkoholverbot in der NVA. Aber ab Dienststellung Kommandeur Truppenteil konnte Alkoholgenuss in Maßen genehmigt werden, und wir waren ja sogar zwei. Übrigens kannte ich bis dahin eigentlich hauptsächlich russischen Wodka, aber seit dieser Zeit bevorzuge ich den Weinbrand „Helios“. Das ist keine Reklame!
Am 28.09.1989 verlegten wir wieder nachts für die Durchführung der Paradetrainings auf der „echten“ Paradestrecke sowie der Parade selbst in das Objekt Berlin Biesdorf. Jetzt befanden wir uns direkt in Berlin und damit war ein Schwerpunkt die Tarnung unserer modernsten Militärtechnik. Alles wurde mit Tarnnetzen abgedeckt und bei Funktionsproben der Radartechnik war Abstrahlung streng verboten. Dass diese Maßnahmen ihre Berechtigung hatten, bewiesen ständige Überflüge kleiner „Zivilflugzeuge“. Da es jetzt etwas ruhiger zuging, tauschte ich mit meinem Stabschef, Korvettenkapitän W. Schädlich, die Plätze. Er übernahm die Führung der verkürzten Paradetruppe in Berlin und ich verlegte in unser Objekt zur direkten
Vorbereitung des nächsten Höhepunktes im Leben des Küstenraketenregiments 18, der Verleihung der Truppenfahne. Ich konnte mit Genugtuung feststellen, dass meine Stellvertreter während meiner Abwesenheit sehr gute Arbeit geleistet hatten. Der Personalbestand und unser Objekt waren gerüstet für diesen wichtigen Tag. Meine Frau musste mir noch einen vereiterten Backenzahn ziehen, mit einem dicken Gesicht wollte ich nicht zur Parade an der Tribüne vorbeidefilieren.
Am 30.09.1984 nahm ich auf einer feierlichen Regimentsmusterung in Anwesenheit vieler Ehrengäste aus den Händen des Chefs der Volksmarine Admiral W. Ehm die Truppenfahne des Küstenraketenregiments 18 entgegen und übergab sie an unseren Fahnenträger Fähnrich Detlef Lehmann.
Nach einer kurzen Rede mit Dank und Verpflichtung marschierte ich an der Spitze des Regiments, das erste Mal mit unserer Truppenfahne, an der Tribüne vorbei. Bei dem anschließenden Empfang gab es viele Fragen zur Parade. Ich musste dem Chef der Volksmarine über den Stand berichten und selbstverständlich gab es auch die entsprechenden Hinweise. Am nächsten Tag fuhren wir sofort wieder zur Paradetruppe nach Berlin zurück, natürlich mit unserer Truppenfahne.
Nach gründlicher Einweisung sowie Rekognoszierung der Marschstrecke und Paradestrecke erfolgte am 02.10. von 22 bis 24 Uhr die Vorprobe. Alles lief ab wie bei der Parade. Die Marsch- und Paradestrecke waren dazu für den normalen Verkehr gesperrt. Dabei paradierten wir das erste Mal mit unserer Truppenfahne im Führungsfahrzeug des Regimentskommandeurs. Die gründliche Auswertung am nächsten Tag ergab nur wenige kleine Mängel.
Früh am 04.10. meldete ich mich beim Stabschef des Paradestabes ab und fuhr in das Kommando der Volksmarine zu einer für mich äußerst angenehmen Veranstaltung.
Noch ein Höhepunkt: Ich wurde zum Kapitän zur See befördert. Dieser Dienstgrad ist in jeder Armee ein besonderer und ich war mächtig stolz darauf. Das stellte auch eine Anerkennung unserer gemeinsamen Aufbauarbeit im Regiment dar, obwohl sie erst vor einem Jahr begonnen hatte und wir noch lange nicht am Ziel waren.
Danach fuhr ich in unser Objekt Schwarzenpfost, wo meine Unterstellten schon einen kleinen Empfang mit Gratulation vorbereitet hatten. Ich war gerührt, es kam von Herzen! Jeder Bereich überreichte eine kleine Erinnerung und viele Blumen. Leider hatten wir nicht viel Zeit zum Feiern, ich musste noch am Abend wieder in Berlin sein.
Vorher stellte ich mich allerdings noch kurz zu Hause meiner Familie mit neuem Dienstgrad vor und mit den vielen Blumen. Sie gratulierten und freuten sich mit mir.
Dann fuhren wir wieder zurück nach Berlin. Auch hier musste ich erstmal die Gratulationen meiner Truppe und der anderen Kommandeure entgegennehmen. Das fiel mir allerdings nicht schwer.
Am 04.10., wieder von 22 bis 24 Uhr, wurde die Hauptprobe unter Aufsicht des Ministers für Nationale Verteidigung, Armeegeneral H. Hoffmann, durchgeführt. Die Auswertung am nächsten Tag ergab, dass wir unsere Aufgabe sehr gut erfüllt hatten und damit auf die Parade vorbereitet waren. Und wieder wurde alles überprüft, gewartet, geputzt.
Der 07.10.1984 war der Tag der Parade, auf den wir uns so lange und gründlich vorbereitet hatten. Es war ein schöner Herbsttag. Pünktlich rollten wir aus dem Objekt Berlin Biesdorf und nahmen bis 08.00 Uhr unsere Ausgangsposition in der Karl- Marx- Allee Höhe Kino „Kosmos“ ein. Bereits auf diesem Anmarsch begrüßte uns begeistert die Berliner Bevölkerung. Ebenfalls waren viele Angehörige, über 300 (!), der US-amerikanischen, britischen und französischen Streitkräften mit Kameras und konkreten Aufklärungsaufträgen unterwegs. Die kümmerten sich vor allem auch um die Technik unseres Regiments. Es war das erste Mal überhaupt, dass der Küstenraketenkomplex „Rubesh“ öffentlich gezeigt wurde. Dementsprechend war auch die Reaktion der Presse. Bis 09.30 Uhr hatten wir Zeit, um noch einmal alles zu überprüfen.
Um 10.00 Uhr begann nach 10 Glockenschlägen vom Roten Rathaus und der Fanfare der Vereinigten Musikkorps der NVA die Parade. Abnehmender war der Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral H. Hoffmann, und Kommandierender der Chef der Landstreitkräfte, Generaloberst H. Stechbarth. Als drittletzte Formation konnten wir von diesen Abläufen leider nichts sehen aber wenigstens hören. Alle Kommandos wurden u.a. durch Lautsprecherwagen, die an der Strecke verteilt waren, übertragen.
Nach der Begrüßung der Paradeteilnehmer durch den Minister begann der Vorbeimarsch der 14 Marschblöcke der Fußtruppen und der 22 Marschblöcke der Motorisierten Truppen zusammen mit dem Überflug der 4 Hubschraubergruppen. Endlich setzten wir uns in Bewegung. Die Karl-Marx-Allee war dicht gesäumt von Berlinern und Touristen, die uns zuwinkten und auch Blumensträuße zuwarfen. Wir waren tief beeindruckt, konnten uns aber auf Grund unserer hohen Konzentration nicht dafür bedanken.
Wir passierten den 1. Linienposten- straffe Haltung und Blick geradeaus, den 2.Linienposten- Grußerweisung und Blickwendung zum Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker. Wir passierten die Tribüne mit der gesamten Partei- und Staatsführung, unserer militärischen Führung sowie vielen internationalen Ehrengästen, die uns alle zuwinkten. Was für ein erhebender Augenblick!
Nach Passieren des letzten 4. Linienpostens erfolgte die absolute Entspannung, ich blickte sofort nach hinten. Erleichtert registrierte ich, dass mir das Führungsfahrzeug des Kommandeurs der 1. Küstenraketenabteilung, unsere zwei Startrampen und vier Raketentransporter immer noch in unverändert exakter Formation folgten. Wir erhöhten laut Plan die Geschwindigkeit auf 30 km/h und ich konnte endlich beruhigt der Bevölkerung zuwinken.
Es war kaum zu glauben war, aber die gesamte Parade hatte laut Zeitplan noch nicht einmal eine Stunde gedauert
– Meldung und Begrüßung: 9 Minuten.
– Vorbeimarsch der Fußtruppen: 15 Minuten.
– Vorbeimarsch der Motorisierten Truppen: 21 Minuten.
– Vorbeimarsch der Musikkorps: 4 Minuten.
Nach Erreichen des Objekts Berlin Biesdorf bereiteten wir nach einer kurzen Erholungspause und der Verabschiedung von unseren Kameraden sofort die Rückverlegung vor. Nach Einbruch der Dunkelheit verlegten wir nach erfolgreicher Aufgabenerfüllung in einer Kolonne unter meiner Führung ohne Vorkommnisse in unser Objekt Schwarzenpfost. Im Morgengrauen waren wir endlich wieder zu Hause!
Der Stabschef, jetzt Korvettenkapitän W. Schädlich, hatte einen kleinen Imbiss vorbereiten lassen. Wir stießen mit allen auf unsere ausgezeichneten Leistungen an, aber nicht nur auf das Wohl der Paradeteilnehmer, sondern des gesamten Personalbestands. Neben der Parade hatte wie immer der Gefechtsdienst, dazu die Feierlichkeiten zur Verleihung der Truppenfahne und der tägliche Dienst abgesichert werden müssen! Gleichzeitig konnten wir noch die Beförderung zum Korvettenkapitän meiner beiden Stellvertreter Wolfgang Schädlich und Hans- Jürgen Galda feiern.
Das alles war ein überzeugender Beweis dafür, dass wir nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ gewachsen waren!
Damit ging auch, nach der entsprechenden Musterung mit Auswertung, das Ausbildungsjahr 1983/84, das erste und äußerst ereignisreiche Jahr im Leben des Küstenraketenregiments 18, zu Ende. Ich zähle nur die wichtigsten Maßnahmen noch einmal kurz auf, damit allen bewusst wird, was hier für überdurchschnittlich hohe Leistungen von dem gesamten Personalbestand verlangt wurden. Alle Aufgaben wurden erfolgreich erfüllt.
– Die Indienststellung des Küstenraketenregiments 18.
– Das erstmalige Erarbeiten der Dokumente für ein Ausbildungsjahr.
– Die Überprüfung der Gefechtsbereitschaft „Hanse 83“.
– Die Formierung der 1. Küstenraketenabteilung im vollen Bestand.
– Die Formierung der Raketentechnischen Abteilung im vollen Bestand.
– Das Erarbeiten des „Plans zur Überführung des KRR-18 vom Friedens- in den Kriegszustand“.
– Die Durchführung des ersten Feldlagers einer KRA mit dem Besuch des Ministers für Nationale Verteidigung.
– Die Durchführung des 1. Raketenschießabschnitts des Küstenraketenregiments 18.
– Die Teilnahme an der Kommandostabsübung „Herbstwind 84“.
– Die Verleihung der Truppenfahne an das Küstenraketenregiment 18.
– Die Teilnahme an der Ehrenparade der NVA zum 35. Jahrestag der DDR in Berlin.
– Die Sicherstellung des Gefechtsdienstes ständig mit einer Startrampe